Hallo miteinander,
Einigen ist vielleicht schon aufgefallen, dass ich in meinen Büchern – bis auf zwei Ausnahmen – nie über meine Familie oder mich schreibe, obwohl natürlich eine Menge von mir in ihnen steckt. Heute möchte ich für mein „Gabriel-Projekt“ den Vorhang etwas zu Seite ziehen.
Es gibt in meinem Leben einen Mann, den ich nie kennengelernt habe, der aber immer eine große Rolle für mich spielte, weil er es für meinen Vater tat. Er hieß Adolf Weber und war sein bester Freund. Über seine Kriegerlebnisse hat Adolf Weber Gedichte verfasst und sie meinem Vater in einem schmalen Heft, gedruckt auf Büttenpapier, hinterlassen. Der Band trägt den Titel „Und unaufhörlich treibt ein Ferner Wind“. Entstanden sein müssen diese acht Gedichte um 1942 herum in Russland am Don. Wenn ich das Heft aufschlage und auf der zweiten Seite die Widmung für meinen Vater lese, bekomme ich jedes Mal eine Gänsehaut. „Dem besten Kameraden, den ich habe, dem einzigen Freund!“ steht da mit Datum Ostern 43. Nicht lange danach ist er gefallen. Mein Vater hat diese Gedichte Zeit seines Lebens gehütet wie einen Schatz. Das gilt nun auch für mich.
Ich weiß nicht, wie Adolf Weber aussah. Vielleicht ist er ja einer von fünf jungen Männern auf dem vergilbten Foto an der Wand. Ich weiß nicht, wo er herkam, ob er Familie hatte, ob jemand aus dieser Familie noch lebt. Um meines Vaters, aber auch um dieser berührenden Gedichte willen, habe ich mich rund 80 Jahre später entschlossen, an den besten Freund meines Vaters zu erinnern. Nicht, weil ich den Krieg verherrlichen will oder das Dritte Reich. Im Gegenteil. Der Gedanke, der mich leitet, ist ein völlig anderer: Freundschaft ist etwas sehr Kostbares. Zu allen Zeiten. Deshalb ist diese Freundschaft bis heute auch Teil meiner Familiengeschichte. Vielleicht wurde sie auf eine gewisse Weise indirekt sogar der Grund dafür, dass ich zu schreiben begonnen habe. Doch lassen wir Adolf Weber selbst zu Wort kommen:
Grab am Wege
Es wogte hell das Korn. Die Winde sangen
ein Lied vom Leben, das die Garben trieb.
Am hohen Mittag wurden deine Wangen
zu blassen Blättern, die der Tod beschrieb.
Die Sonne sank in ihrem alten Bogen.
Ein wundes Pferd grast matt am Ackerrand.
Die Stille quillt mit immer neuen Wogen.
Am Himmel wächst der Rauch von fernem Brand.
Das Kreuz aus Birke glimmt wie angezündet
im dunkelroten, letzten Abendlicht.
Der Stahlhelm ruht darüber und verkündet
des Krieges unerbittliches Gesicht.
Ruhe in Frieden Adolf Weber, wo auch immer Du sein magst.
Mein Vater ist 1997 gestorben. Ich wünsche mir so sehr, dass diese beiden Männer einander wiedergefunden haben, irgendwo, jenseits der Sterne.
Bis bald auf diesem Wege
Petra Gabriel