Peitschenschlag statt Pass
Von Stadtarchivar Martin Blümcke
Wenn Harry Draganski und ich uns getroffen haben, dann haben wir als Jahrgänger – 1935 – immer einen kleinen Schwatz gehalten. Früher im Gasthaus „Bächle“, das seit dem Umbau „Alte Post“ heißt, als Wirt und Koch, später als Rentner. Zuletzt fuhr er mit einem Vierradgestell samt Dach durch die Gegend und hielt an, wenn er einen Bekannten sah.
So geschah es auch im Sommer letzten Jahres (2020), als wir uns im Durchgang unter dem Rathaus begegneten, drei oder vier Wochen vor seinem Tod. Er saß in seinem Fahrgestell, ich war mit meinem Jack-Russel an der Leine unterwegs. „Halt, Herr Blümcke, kommen Sie mal her, ich muss Ihnen was erzählen.“ Ich zog mein Annele an der Leine heran und ging zu ihm. „Hören Sie mal, Sie kennen doch die Madame Codman und von der weiß ich eine Geschichte. Als Archivar wird Sie das interessieren.“ Ich nickte und stellte mich zu ihm.
„Also, im Gasthaus „Bächle“ hat einmal einer, der als Fuhrmann mit seinen zwei Gäulen sein Geld verdient hat, diese Geschichte erzählt. Er stand mit seinem Gefährt vor der alten Laufenbrücke, die noch überdacht war, unten am Zoll. Da wurde er von einer Kutsche überholt, in der Madame Codman saß. Ein junger Zöllner, die sie wohl nicht kannte, trat heran und sagte höflich; ‚Ihren Pass, bitte’. Darauf Madame Codman: ‚Was wollen Sie’? Der Zöllner wiederholte: ‚Ihren Pass, bitte’. Daraufhin griff die Schlösslemadame nach vorne, wo neben dem Kutscher in einer Hülse die Peitsche steckte. Sie nahm die Peitsche, drehte sie herum und schlug dem Zöllner mit dem Griff auf den Rücken. ‚Da haben Sie Ihren Pass!’ Und hinüber ging es auf die Schweizer Seite.“
Es sei noch angemerkt: Nachdem die heutige Laufenbrücke 1911 gebaut worden war, wurde die alte Holzbrücke im Januar 1912 abgebrochen.
Laufenburg, den 12. April 2021
* Harry Draganski (1935-2020) wurde in Danzig geboren und kam in den Wirren des Zweiten Weltkriegs über Umwege nach Laufenburg. Ehe er das Gasthaus „Alte Post“ übernahm, das er von 1966 bis 1996 zusammen mit seiner Ehefrau Fridhelma führte und 2004 an seinen Sohn Harry übergab, machte er eine Lehre als Metzger. Anschließend heuerte er für fünf Jahre als Koch auf dem Kreuzfahrtschiff „Hanseatik“ an, damals eines der größten Passagierschiffe der Welt. Während seiner Zeit auf den Weltmeeren soll er sogar für Fidel Castro gekocht haben. Quelle/Foto: SÜDKURIER, Werner Probst