
Malecón mit Kreuzfahrern
Kuba, Februar 2018. Ich bin zurückgekommen. Zwei Jahre, nachdem ich fortging und nicht ganz so lange, nachdem mein Buch „Ein Jahr auf Kuba“ erschienen ist. Die Nächte von Havanna sind lau. Die Verliebten und die, die es werden wollen, treffen sich noch immer abends, besonders abends am Wochenende, am Malecón. Inzwischen gleitet im Hintergrund allerdings ab und an ein Kreuzfahrtschiff Richtung Hafen von Alt-Havanna vorbei. Am Wochenende spielen die jungen Männer auf der Infanta noch immer Fußball.
Und da sind natürlich Ernestina und Juan Carlos, meine kubanische familia. Die beiden haben sich kaum verändert, alles ist vertraut. Wie heimkommen. Wir haben uns viel zu erzählen. Juan Carlos ist noch immer ein Künstler in der Gestaltung von Früchtetellern (siehe Foto unten). Und noch immer habe ich keine Lust, mich dem Strom der Touristen anzuschließen, die von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit über die Insel hasten, immer in der Angst, etwas zu verpassen. Ich finde, die kleinen Dinge des Alltags abseits der ausgetretenen Pfade, die Beobachtungen auf dem Weg, sagen sehr viel mehr über die Insel und ihre Bewohner aus. Und stundenlang am Strand liegen, das ist auch nicht so mein Ding. Bei diesem Besuch im Februar 2018 habe ich bis auf die Vorstellung einer Kubanisch-deutschen Anthologie namens „Begegnungen/Relaciones“ auf der Buchmesse keine Verpflichtungen. Ich streife einfach durch die Stadt. Ich kann es mir leisten, darauf zu warten, was das Leben oder der Zufall mir über den Weg schicken.

mit Ernestina und Juan Carlos
Manchmal auch morgens (naja, eher gegen Mittag) zum Frühstück im Nana Café, das nach all meinen Wanderungen durch Havanna, und glauben Sie mir, ich habe einige Cafés ausprobiert, meiner Meinung nach noch immer die beste Frühstückauswahl der Stadt serviert; und das auch noch zu einem annehmbaren Preis. Inklusive aller Hits meiner Jugend, gesungen von Brian Adams, Tina Turner, Freddy Mercury, Prince, dem jungen Michael Jackson …
Schräg gegenüber sitzt zum Beispiel die junge Kubana mit dem ziemlich viel älteren Mann, die zu den Klängen von „Hotel California“ mehr oder weniger stumm in die Gegend starrt. Manchmal aber auch auf ihr Sandwich, das sie nicht anrührt. Ich interpretiere das dergestalt, dass sie nicht gerade begeistert ist im Gedanken daran, was sie als nächstes erwartet. Da sind die beiden Gays im angeregten Gespräch mit ihrer zahlenden Begleitung, die kurz darauf aufbrechen; die Familie mit Kind, Kegel und Großeltern, die lachen, sich unterhalten, begeistert kreischen, mit ihren Händen in der Luft einen imaginären Trommelwirbel veranstalten; die Hochzeitsvorbereitungen mit vielen lila, weißen und grünen Luftballons im Restaurant zehn Meter weiter über den Platz, an dem auch das Nana Café liegt. Damals, als mein Jahr auf Kuba sich dem Ende zuneigte, hatte diese kleine Café gerade eröffnet. Inzwischen ist es gut besucht und ein wunderbares zweites Wohnzimmer, wenn die Wasserpumpe im Haus neben meiner Casa Particular mal wieder ihr Bestes gibt.
Der Mojito zu den abendlichen Camarones (ja, ich bin schon wieder da) kommt im Nana Café in der 25. Straße noch immer mit einem Lächeln der Bedienung, aber inzwischen mit rötlichen Schleiern von Angostura, die das Grün der Minzblätter umschmeicheln. Selbst im so illuster erscheinenden Hotel Nacional scheinen sie dieses bitter-süße Aroma nicht zu kennen, obwohl der Drink dort das Dreifache kostet. Dabei hat auf Kuba das Leben für mich genau diesen Geschmack. Ich weiß auch nicht, warum mir das erst jetzt auffällt, zwei Buchprojekte und so viele „Begegnungen“ später. Und, natürlich, es schmeckt nach Camarones, nach den Garnelen, die ich so liebe. Mit und ohne Knoblauch. Dabei weiß ich noch nicht einmal, ob sie aus dem Meer vor der Küste Kubas stammen. Wahrscheinlich eher nicht. Ich vermute, die einst so stolze Fischfangflotte ist noch immer in einem einigermaßen desolaten Zustand. Juan Carlos behauptet, es gäbe für die Camerones inzwischen Zuchtfarmen.
Und so sitze ich zwischen meinen Streifzügen dann auch auf der Terrasse meiner Casa, von der ich aufs Meer schauen kann (aber nur, wenn ich aus meinem Schaukelstuhl aufstehe und mich über die Brüstung beuge) und denke über das Leben nach. Meines, das anderer Menschen, das was war, das was ist, das was kommt, besonders aber über das Leben auf Kuba. Zum Beispiel darüber, dass der letzte Tropensturm in meiner Abwesenheit die Wellen des Atlantiks derart aufgepeitscht hat, dass sie zehn Meter hoch über die Mauer des Malecón herein- und in die Häuser am Meer einbrachen. Ich glaube er hieß Mathew. Es gab Tote. Und es klaffen trotz zügigem Wiederaufbau neue Wunden in dem teilweise bereits liebevoll restaurierten Gefüge aus alten Kolonialvillen und Häusern, die nach der Revolution entstanden sind und die sich inzwischen gegenseitig stützen. Darüber war in unseren Zeitungen kaum etwas zu lesen. Auch nicht darüber, dass ein Herr namens Trump anstatt Mitgefühl für diese von der Natur und einem Tropensturm bereits einige Wochen zuvor schon einmal übel zugerichtete Insel zu zeigen, das Embargo, das Obama lockerte, wieder in vollem Umfang etabliert hat. „America first“. Ich weiß nicht, wovor dieser Mann solche Angst hat, dass er dauernd um sich schlagen muss. Besonders auf die Schwächeren.
Inzwischen hat der staatliche Kommunikationsprovider ETECSA die Insel fest im Griff. Wifi- Tarjetas kosten nur noch einen CUC für eine Stunde. Im Hotel Habana Libre, früher mein Büro mit stabiler Internetverbindung, sind es 4,50. Und ich lande nach der Verbindung mit dem hauseigenen Wifilibre ohnehin wieder bei ETECSA. Also setze ich mich an die Rampa, die 23. Straße, mische mich irgendwo im Schatten unter Bäumen zwischen unzählige Kubaner, suche einen Platz auf der etwas erhöhten Mauer in der Nähe der Banca Metropolitan und eröffne einmal am Tag mein Außen- Internetbüro.

Kunstschnitt zum Abschied
Aber es hat keine Eile mit den Mails, nichts hat mehr Eile. Ausnahmsweise habe ich Ferien und kann mich ganz den großen und kleinen Dramen widmen, die das Leben so schreibt. Auch für die kleinen Kätzchen, vermutlich die Nachkommen der Jägerin von damals, die sich inzwischen jeden Morgen vor meinem Apartment aufbauen – mit erwartungsvollen Augen. Und die ich eigentlich nicht füttern soll. Aber diesen Augen kann ich nicht widerstehen. Und als Juan Carlos dann eine Familie für das kleine liebebedürftige, gestromte Katzenmädchen findet, das trotz all meiner Proteste immer wieder in meine Küche kommt und sich einfach nicht aussperren lässt, vermisse ich sie bald darauf. Vermisse ihre großen Augen, die verzückten Verrenkungen, wenn ich sie ausnahmsweise einmal streichle. Was ich natürlich auch nicht soll. Ich weiß, dass ich mich unvernünftig verhalte, schließlich fahre ich wieder und weiß nicht, wer nach mir hier einzieht. Aber manchmal kann ich einfach nicht vernünftig sein. Und ich hoffe, dass der sehr viel zurückhaltendere schwarzweiße Bruder hin und wieder freundlich an die Fremde denkt, die so spurlos verschwunden ist.
Hola Cuba. Sta luego? Vielleicht. Hoffentlich.